Selbstversuch: Testosteron soll alternde Männer länger fit halten - DER SPIEGEL

2023-02-15 15:18:44 By : Ms. Nina Cai

Im Juli des vergangenen Jahres saß ich mit runtergelassener Hose in einem Hotelzimmer in Denver, in meinem rechten Oberschenkel steckte die vier Zentimeter lange Kanüle einer Einwegspritze, und ich fragte mich, ob ich im Begriff sei, einen großen Fehler zu begehen.

In der Spritze war Testosteron, ein Hormon, das vor allem bekannt ist, weil es Bodybuilder in Muskelberge verwandelt und Bodybuilderinnen in furchterregende Zwitterwesen. Weniger bekannt ist, dass Testosteron auch als Jungbrunnen für alternde Männer funktionieren soll. Es soll schlappe Männer wieder fit machen, dicke dünn, träge munter. Zumindest verspricht das die Pharmaindustrie.

Es ist nicht ganz einfach zu erklären, wie ich mit der Spritze in dem Hotelzimmer gelandet bin. Es begann ein paar Monate zuvor mit einem meiner Nachbarn. Er ist 73 Jahre alt, und ich habe ihn getroffen, als er mit seinem Rollator auf dem Weg zum Bäcker war. Ich begleitete ihn, wir sprachen übers Wetter, und während wir uns sehr langsam dem Ziel näherten, kam mir der Gedanke, dass ich diesem Mann, der seinen Körper nicht mehr ohne Hilfen bewegen kann, lebenszeitlich näher stehe als einem 25-Jährigen.

Ich bin 53 Jahre alt, und ich kann nicht sagen, dass mir dieser Gedanke gefiel.

Aber er war da und ging nicht weg.

Zuvor waren mir alte Männer nie besonders aufgefallen, nun sah ich sie ständig. Sie schlurften gebeugt durch die Straßen lächelten mich manchmal an. Sie wussten, dass auch ich früher oder später einer von ihnen sein werde.

Ich begann, gesünder zu essen, verzichtete auf Alkohol trieb mehr Sport. In den folgenden Wochenverlor ich ein paar Kilo, mittags war ich weniger müde, und eigentlich hätte ich es dabei belassen können. Aber ich wollte wissen, wie weit ich mich von einem Leben mit Rollator entfernen kann, und stieß irgendwann im Internet auf eine Studie über Testosteron. Der Autor, David Handelsman, beklagt den weltweit steigenden Konsum der Substanz, spricht von einer "modernen Epidemie". Handelsman betrachtete den Testosteronkonsum in 41 Industriestaaten in den Jahren2000 bis 2011, und in 37 dieser Staaten wuchs der Umsatz, im Schnitt um das Zwölffache. Aus 150 Millionen Dollar Umsatz wurden 1,8 Milliarden. Auch Deutschlandgehört zu diesen Ländern, hier stieg der Umsatz um das Dreifache.

Angetrieben wurde diese Entwicklung durch das smarte Marketing der Pharmaindustrie die, auf der Suche nach einem weiteren Bestseller neben Viagra und Cialis, die "Wechseljahre des Mannes erfunden hat, einen Begriff, der einen natürlichen Vorgang, das allmähliche Sinken des männlichen Testosteronspiegels ab etwa dem 35. Lebensjahr, umdeutete in eine Krankheit, die es zu kurieren gilt.

Die Wirkung der Kampagnen wird verstärkt durch einen mächtigen Resonanzboden, durch Ängste, die weit verbreitet sind in den rasch alternden Gesellschaften Europas Amerikas und Asiens, in Ländern also, in denen der medizinische Fortschritt den Menschen einen weiteren Lebensabschnitt geschenkt hat. Starben Deutschlands Männer in den Fünfzigerjahren im Schnitt mit Erreichen des Rentenalters, bleiben ihnen heute durchschnittlich 13 weitere Jahre, vielen sogar 20 oder 25, in denen sie fit sein wollen, mobil, potent.

Und die etwas Jüngeren, in den Vierzigern, Fünfzigern, fühlen kaum anders, weil sie im Job unter Druck stehen, weil sie deutlich jüngere Frauen geheiratet haben, weil sie erst spät Vater wurden. Ich kenne solche Ängste. Wenn mein Sohn Abitur macht, werde ich 65 Jahre alt sein.

Testosteron war auch pharmakologisch eine kluge Wahl der Industrie denn Männer, deren Körper zu wenig oder gar kein Testosteron produziert, können unter Antriebslosigkeit leiden, unter Übergewicht und mangelnder Libido. Ihnen helfen Testosteron-Gele oder -Injektionen in der Regel, und das oft ohne Nebenwirkungen. Was nicht überraschend ist. Schließlich wird durch die Injektionen nur der natürliche Zustand wiederhergestellt.

Will man aber die angeblichen Wechseljahre des Mannes kurieren, ist die Lage eine andere. Angestrebt wird ein unnatürlicher Zustand, alternden Männern wird der Testosteronspiegel junger Männer verpasst. Was das langfristig für Folgen hat, kann zurzeit niemand sagen. Die Forschungslage ist lückenhaft und widersprüchlich, im März vergangenen Jahres ordnete die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA an, dass Hersteller in den USA künftig vor Schlaganfällen, Herzinfarkten und Thrombosen warnen müssen.

Eigentlich hätten mich diese Fakten forttreiben müssen vom Testosteron, aber ich dachte nur: So schlimm kann es eigentlich nicht sein. Sonst hätte eine Verzwölffachung des Konsums zu einer Todesserie führen müssen, die unübersehbar Schlagzeilen liefert. Außerdem beruhigte mich die Tatsache, dass Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone das Rentenalter erreicht haben. Für Steroidnutzer sind sie ja das, was Helmut Schmidt für Raucher war: der lebende Beweis, dass man schlechten Gewohnheiten lange nachgehen kann, ohne wirklich Schaden zu nehmen.

Ich begann, mich mit dem Gedanken anzufreunden, Testosteron zu spritzen, zeitlich begrenzt. Als Experiment. Waren drei Monate zu verantworten?

Ich fragte meinen Hausarzt. Er zog irritiert die Brauen hoch, sagte dann, na ja, man müsse einen Blick auf meine Tumormarker werfen, die Prostata untersuchen. Lauern im Körper irgendwo Krebszellen, ist zusätzliches Testosteron nicht zu empfehlen. Außerdem riet er mir, ich sollte mich nach sechs Wochen gründlich untersuchen lassen und nach Ende des Experiments ebenfalls. Ich fragte auch noch eine leitende Endokrinologin an einem deutschen Universitätsklinikum. Dieselbe Irritation. Derselbe Ratschlag.

Ich ließ die Untersuchungen machen, alles war in Ordnung. Drei Monate waren also vertretbar.

Nun musste ich einen Arzt finden, der mir das Testosteron verschrieb. Mein Wert war normal für einen Mann um die fünfzig, und weder mein Hausarzt noch die Endokrinologin waren bereit, mir Testosteron zu verschaffen. Und ich hatte keine Lust, auf dem Schwarzmarkt einzukaufen, wie es schätzungsweise anderthalb Millionen Deutsche machen, die leistungssteigernde Medikamente aus Lifestylegründen nehmen.

Ich fühlte noch bei ein paar Urologen vor. Einer wäre bereit gewesen, winkte aber ab, als er erfuhr, dass ich Journalist bin und am Ende des Experiments ein Artikel stehen würde.

Also sah ich mich im Ausland um. Am größten ist der Testosteronmarkt in den USA. Konzerne wie AbbVie sind dort gut im Geschäft. Und neben den Konzernen ist Platz für weitere Firmen, kleinere, die nicht nur Testosteron, sondern einen Rundumservice bieten. Ihre Filialen finden sich in vielen Großstädten der USA, und sie können sich über mangelnde Kundschaft nicht beklagen. Etwa drei Prozent aller US-Amerikaner über vierzig sollen im Jahr 2011 von ihrem Arzt ein Rezept für Testosteron erhalten haben, das sind rund zwei Millionen.

Am oberen Ende des Testosteronmarktes hat sich die Firma Cenegenics eingerichtet, ihre Ärzte verlangen für die Therapie etwa 1000 Dollar im Monat. Kunden aus Übersee erhalten einen Rabatt, zahlen 750 Dollar im Quartal aus Marketinggründen. Ich mache einen Termin in der Cenegenics-Klinik in Denver. Sie wird von einer Ärztin geleitet, einer Endokrinologin, Julie McCallen. Ihre Praxis liegt sehr diskret in einem Hochhaus in der Stadtmitte.

Als sich die Tür zur Praxis öffnet, kommt Julie McCallen lächelnd auf mich zu, sehr blond, sehr fit und wie ich 53 Jahre alt. Sie trägt ein schwarzes Kleid, das ein Stück über ihrem Knie endet. Seit zehn Jahren spritzt sie sich Testosteron, und man sieht es ihr an, nicht auf aufdringliche Art eher auf den zweiten Blick. Sie sagt, die Hälfte ihrer Patienten seien Frauen. Testosteron wirkt bei Frauen nicht anders als bei Männern.

Der erste Besuch in der Praxis ist kurz. Eine Krankenschwester nimmt mir Blut ab, es wird in ein Labor an der Westküste geschickt. Etwa eine Woche später bin ich wieder da, und mein Tag beginnt mit einem ausgiebigen Gesundheitscheck, ich werde gemessen (1,82 Meter), gewogen (96 Kilogramm), mein Fitnesslevel wird überprüft (gut, für mein Alter, mein Körperfettanteil errechnet (26 Prozent), dann sitze ich Julie McCallen gegenüber, sie fragt nach Symptomen, ich antworte vage: "Nicht mehr so viel Energie wie mit zwanzig Jahren, manchmal fühle ich mich müde, schlafe schlecht." Das reicht meiner neuen Ärztin schon, und wir besprechen, was ihrer Meinung nach zu tun sei.

Der vom Labor an der Westküste gemessene Testosteronwert ist fast identisch mit dem, der in Deutschland gemessen wurde, allerdings ist dieser Wert für Julie McCallen nicht akzeptabel, obwohl er im gesunden Bereich liegt. "Gesund ist ein dehnbarer Begriff", sagt Julie McCallen. Die klassische Medizin definiere gesund als Abwesenheit von Krankheit, Cenegenics definiere gesund als das Erreichen des Optimums.

Anzustreben sei ein Wert, der etwa doppelt so hoch sei wie meiner. Ein Wert wie ihn ein 20-jähriger Mann habe. Um 1000 Nanogramm pro Deziliter. Für den Beginn rät sie mir zu einer Testosterondosis von 120 Milligramm pro Woche, verteilt auf zwei Injektionen. Das liegt in der Nähe dessen, was Männern verabreicht wird, deren Körper kein oder nur sehr wenig Testosteron produziert.

Wie steht es denn mit möglichen Nebenwirkungen, frage ich.

Es kann zu Haarausfall kommen, sagt sie und blickt auf meine Fastglatze. "Aber das haben Sie ja schon hinter sich."

Der Hämatokritwert könne steigen, das Blut zähflüssiger werden. Da müsse man nötigenfalls gegensteuern.

Gynäkomastie könne auftreten. Der männliche Körper reagiert auf den höheren Testosteronwert manchmal mit einer gesteigerten Produktion von Östradiol, das mitverantwortlich ist für die Ausbildung der weiblichen Brust. Es sei möglich, dass meine Brustwarzen anschwellen, sie könnten auch Sekrete absondern. Auch diesen Wert müsse man, falls nötig, mit weiteren Medikamenten senken.

Nein, eigentlich nicht, sagt Julie McCallen.

Wie steht es mit Herzinfarkten, Schlaganfällen, Prostatakrebs?

Alle Studien zu diesen Themen seien fehlerhaft.

Wie steht es um die Warnung der FDA?

Völlig überzogen und nicht gerechtfertigt.

Ein paar Stunden später sitze ich dann in meinem Hotelzimmer, auf dem Tisch neben mir ein kleines Fläschchen, 10 Milliliter Öl, darin rund 2000 Milligramm Testosteron Cipionat.

Ich desinfiziere die Kappe der Flasche, dann einen Teil meines rechten Oberschenkels. Ich schraube eine Kanüle auf die Spritze, ziehe 0,3 Milliliter auf, tausche die Kanüle gegen eine dünnere, versenke sie in meinem rechten Oberschenkel.

Mir wurde gesagt, dass es ein paar Tage dauern werde, bis ich irgendeine Wirkung spüre, und so gehe ich am nächsten Morgen in ein Fitnessstudio, erwarte nicht, dass sich irgendetwas ändert, und arbeite mich durch mein übliches Programm.

Gegen Ende des Trainings sehe ich eine Pull-up-Stange. Ich schaue zu ihr hoch und denke, warum nicht. Bislang waren meine Erfolge hier bescheiden, fünf Klimmzüge in der Regel. Ich hänge mich an die Stange, die Handrücken zeigen zu mir. Die ersten drei Züge fühlen sich an wie immer, dann wird es normalerweise schwierig. Wird es aber nicht. Sechs sind kein Problem, acht auch nicht, der zehnte geht gerade noch so, beim elften lasse ich los.

Mein Oberkörper fühlt sich nun anders an, ich spüre den Pump, von dem Bodybuilder immer berichten. Meine Muskeln sind härter, praller. Ich bin euphorisch, stehe kurz davor, Fremde im Studio zu umarmen, was wirklich nicht meine Art ist. Es ist erstaunlich und beängstigend zugleich. Ein Placeboeffekt wäre denkbar, aber eine Verdopplung der Leistung allein durch das Wissen, dass ich jetzt gedopt bin?

Während der Fahrt ins Hotel beschließe ich, meine Wochendosis auf drei Injektionen zu verteilen, um meinen Körper mit weniger Testosteron auf einmal zu fluten.

Ein paar Tage später folgt die nächste Überraschung. Üblicherweise brauche ich vier, manchmal fünf Tage, um einen Nachtflug von der Westküste der USA nach Deutschland zu verkraften. Dieses Mal akklimatisiere ich mich innerhalb von zwei Tagen und Nächten. Auch nach dieser Zeit fühle ich mich wacher, klarer, ich spüre, dass etwas geschieht in meinem Körper. Es ein Kribbeln zu nennen wäre übertrieben, es ist unterhalb dieser Schwelle aber spürbar. Ich verliere Gewicht, drei Kilo innerhalb der ersten Woche, aber ich bin nicht auf Diät. Ich habe das Gefühl, das Fett schmilzt mir förmlich vom Körper.

Nach gut einer Woche stabilisiert sich mein Zustand, mein Gewicht. Die euphorischen Attacken bleiben aus, ich habe mehr Energie, bin nicht aggressiver, ganz im Gegenteil, ich habe das Gefühl, ich bin entspannter, weil ich mehr Reserven in mir spüre. Und der Sex spielt in meinem Leben keine kleinere oder größere Rolle als vor Beginn des Experiments. Auch das ist eine Überraschung.

Während dieser ersten Phase war ich ein Testosteronverteidiger. Ich sah keine Nachteile. Nach jeder Injektion starrte ich sorgenvoll auf die Flasche und fragte mich, wie ich meinen Vorrat so lange wie möglich strecken könnte. Ich war nicht glücklich darüber, dass das Ganze ein journalistisches Experiment ist, denn am Ende, wenn der Text erscheint, würde ich gekreuzigt werden, als unverantwortlicher Steroidkonsument, als Helfer der Pharmaindustrie, da war ich mir sicher.

Vertreter der Steroidindustrie geben trotz ihrer Marketingerfolge selten Interviews. John Adams Geschäftsführer von Cenegenics und seit rund 20 Jahren Testosteronkonsument, ist da keine Ausnahme. Er hat sich noch nie gegenüber den Medien geäußert, einem Treffen mit mir stimmt er allerdings zu, aus verständlichen Gründen: Ein Text im SPIEGEL kann ein Türöffner zum europäischen Markt für ihn sein. Ich treffe ihn passenderweise in Las Vegas der Stadt der Spieler, zum Frühstück in einem Café im Hotel Bellagio.

Das Erste, was ich von Adams sehe, sind seine Schultern. Er steht hinter einem Mann, der so groß ist wie er, aber nur halb so breit, und Adams, ganz in Schwarz wirkt wie ein übermächtiger Schatten.

Adams weiß um seine Figur, die ans Groteske grenzt, auch um ihre Wirkung auf Menschen, und er ist nicht dumm. Einer seiner ersten Sätze lautet: "Ich war schon als Baby nicht schmal."

Seine Firma gründete Adams 1997, zusammen mit einem Geschäftspartner. Zu dieser Zeit war die kommerzielle Hormontherapie weit davon entfernt, eine Industrie zu sein. Ein paar Einzelgänger verkauften selbst gebraute Cocktails aus Testosteron, Wachstumshormonen und anderen Zutaten. Adams glaubte, einen lukrativen Markt entdeckt zu haben, aber er hatte kein Interesse daran, eine einzelne Praxis aufzumachen, er träumte von einem Franchisebusiness, strukturiert wie McDonalds. Heute arbeiten gut 50 Ärzte mit Cenegenics zusammen.

Adams streitet nicht ab, dass er die amerikanische Gesellschaft noch ungleicher macht, als sie ohnehin schon ist. "Die oberen fünf Prozent der Amerikaner können sich unsere Dienste dauerhaft leisten, der Rest nicht." Adams sagt das nüchtern, nicht entschuldigend. Er lebt in einer sehr exklusiven Welt bevölkert von Millionären, Unternehmern in der Regel, er scheint selten Gegenargumente zu hören. Ich halte, zu meiner eigenen Überraschung, plötzlich ein kleines Plädoyer für die egalitärere deutsche Gesellschaft, in der Chancen und Lasten gerechter verteilt sind. Die Vorstellung amüsiert ihn.

Auch wenn ich seine Meinung nicht teile, sieht Adams in mir einen Verbündeten. Ihm genügt der Umstand, dass ich die Dienstleistung seiner Firma in Anspruch nehme. Ich sehe mich nicht an seiner Seite, und am Ende der sechsten Woche meines Experiments wird auch die Distanz zu seiner Dienstleistung größer.

Ich lasse mein Blut untersuchen, und mein Testosteronspiegel liegt nicht wie geplant bei 1000, sondern bei 2000 Nanogramm pro Deziliter. Das ist selbst Julie McCallen zu hoch. Sie rät mir per Mail meine Testosterondosis um ein Drittel zu senken, von 120 auf 80 Milligramm pro Woche. Mein Blut, das ist die gute Nachricht, ist nicht zähflüssiger geworden. Dafür hat sich mein Östradiolwert verdoppelt, er ist gerade noch normal zu nennen.

Julie McCallen will diesen Wert senken und empfiehlt Anastrozol, entwickelt, um Brustkrebs bei Frauen zu bekämpfen. Ich frage meine Endokrinologin hier in Deutschland, was sie davon halte. Das Senken meiner Testosterondosis hält sie für dringend geboten, von Anastrozol rät sie ebenso dringend ab, es sei zu risikoreich. Zusammen mit Julie McCallen suche ich nach einer Alternative wir einigen uns auf Indol-3-Carbinol, ein Nahrungsergänzungsmittel auf Brokkolibasis, das widerlich schmeckt.

In den kommenden Wochen hält sich mein Fortschritt in engen Grenzen. Auf die erste euphorische Phase folgt eine neue Normalität, auf höherem Niveau, aber ohne weitere Überraschungen. Eine graduelle Veränderung vollzieht sich, meine Hosen werden am Bund weiter, die Hemden beginnen am Bizeps zu spannen. Ich mache peinliche Selfies im Badezimmer, und auch wenn die Veränderungen für mich spürbar sind, sind sie doch zu gering, um sichtbar zu sein.

Um die Möglichkeiten meines renovierten Körpers zu erkunden, setze ich ihn einem Härtetest aus. Ich trinke, nach wochenlanger Abstinenz, an einem Abend zwei Flaschen Wein und esse dazu ein gutes Pfund Käse. Wie werde ich mich am nächsten Morgen fühlen? Nicht gut. Aber bei Weitem nicht so schlecht, wie ich vermutet hatte.

Am Tag der Einschulung meines Sohnes spielen wir am Nachmittag Fußball, vier Väter, drei Jungen und ein Mädchen. Ich bin schneller, ausdauernder als die anderen Männer und auch sprintstärker als mein ungedoptes Ich. Meine Kniegelenke hat das Testosteron allerdings nicht mitgedopt. Die nächsten drei Tage gehe ich die Treppen im Haus wie ein 70-Jähriger.

Bin ich zu anspruchsvoll? Der verhaltene Fortschritt enttäuscht mich, ich hatte auf grundsätzlichere Veränderungen gehofft.

Julie McCallen rät mir, meine Ernährung konsequenter umzustellen und mit schweren Gewichten zu trainieren. Das sagt sie auch all ihren anderen Patienten gleich zu Beginn der Behandlung und versorgt sie mit Ernährungs- und Trainingsplänen. Ich hatte das abgelehnt, weil ich wissen wollte, was Testosteron vermag, nicht aber, wie Testosteron plus Diät plus Training wirkt.

Nun aber, in Woche neun meines Experiments, bin ich so weit, das auszuprobieren. Zum Frühstück esse ich Hüttenkäse mit Paprika und Leinöl. Vormittags zwei hart gekochte Eier, mittags zwei Steaks, dazu einen Berg Gemüse, nachmittags eine Handvoll Nüsse. Abends dann Hähnchenbrust mit etwas Reis und einen zweiten Berg Gemüse. Außerdem trinke ich mindestens drei Liter Wasser. Ich habe das Gefühl, ich esse den ganzen Tag, und wenn ich nicht gerade esse, gehe ich pinkeln. Außerdem stelle ich mein Training um.

Es funktioniert. Die Hemden spannen an den Oberarmen noch mehr, das Mittagstief verschwindet. Ich schlafe besser. Und sonntags, wenn ich mit den Kindern im Schwimmbad bin, gucken dicke Männer neidisch zu mir rüber.

Mitte Oktober setze ich mir die letzte Spritze und warte auf das Loch, in das ich fallen sollte. Die Ärzte hatten gesagt, dass es eine Weile dauern könne, bis meine körpereigene Testosteronproduktion wieder in alter Stärke laufe. Aber das Loch bleibt aus.

Eine Woche nach der letzten Spritze lasse ich mein Blut erneut untersuchen. Mein Testosteronwert ist auf sein Ursprungsniveau zurückgekehrt. Mein Östradiolwert ist nun zu niedrig, würde sich aber erholen, wenn ich nicht länger das scheußliche Brokkolisupplement schlucke. Der Hämatokritwert meines Blutes ist unverändert, mein PSA-Wert, ein Tumormarker, steht stabil bei 1,3.

Alles gut also, und ich frage mich: Was nun? Weitere drei Monate?

Julie McCallen, meine Testosteronärztin aus Denver, ist natürlich dafür. Angeblich ist sie ja selbst der Beweis, dass verantwortungsvolles Dopen möglich ist. Ich bin mir da nicht so sicher.

Alan Mintz, Mitgründer von Cenegenics, Partner von John Adams und bekennender Steroidkonsument, ist im Alter von 69 Jahren gestorben, sechs Jahre früher als der durchschnittliche ungesund lebende amerikanische Mann. Adams argumentiert zwar, dass es seiner Firma nie darum gegangen sei, das Leben zu verlängern, sondern, die vorgesehene Lebenszeit so effektiv wie möglich zu gestalten. Aber das klingt nicht sehr überzeugend.

Origineller ist der Versuch, den Konsum von Testosteron mit der Akzeptanz der Antibabypille zu begründen. Auch sie sei, so das Argument der Verteidiger von Hormontherapien, nichts anderes als ein jahrelanger und schwerwiegender Eingriff in den Hormonhaushalt der Frau, aus Lifestylegründen. Und dann sind da natürlich noch Liberale, die argumentieren, dass eine Gesellschaft, die Alkohol und Zigaretten legalisiert, Testosteron nicht überzeugend verbieten kann.

Ich beende das Experiment nicht aus weltanschaulichen, sondern aus egoistischen Gründen. Mir sind die Langzeitfolgen andauernden Testosteronkonsums zu wenig erforscht. Ich habe keine Lust, einen Infarkt zu riskieren, um etwas mehr Energie zu haben. Auch mag ich keinem Arzt gegenübersitzen, der in Wahrheit ein Pharmavertreter ist.

Wären die Veränderungen stärker gewesen, hätte ich vielleicht anders entschieden. Aber das wäre, wenn überhaupt, nur möglich mit einer höheren Dosis. Und so verzweifelt bin ich nicht.

Es ist jetzt fünf Monate her, dass ich mir die letzte Spritze gesetzt habe. Ich habe drei Kilo zugenommen und rede mir ein, dass das vor allem Muskeln sind. Ich mache weiter dreimal die Woche Sport, esse vernünftig, trinke wenig Alkohol und fühle mich gut. Das ist es. Mehr braucht es nicht.

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