Anabolika-Nebenwirkungen: Erektionsstörungen als Preis für Muskel-Sixpacks

2023-02-15 14:58:37 By : Ms. Leina Chen

Bereits Schüler helfen dem Body Shape mit anabolen Steroiden nach. Diese stellen nicht nur im Leistungssport ein gesundheitliches Problem mit vielen Facetten dar.

Sich Anabolika zu besorgen ist leicht. Wer nicht in dubiosen Fitnessstudios bedient wird, findet über einschlägige Suchworte weit mehr als 300 000 Internetseiten wie www.muskelaufbau-turbo.de oder www.anabolika-legal.com. Da verspricht man den vorwiegend männlichen Kunden „beeindruckende Muskeln“ und prophezeit ihnen: „Alle werden Sie darum beneiden.“ Um die zum Teil erheblichen Nebenwirkungen jedoch sicher nicht. Über diese referierte Prof. em. Dr. med. Dr. h. c. Eberhard Nieschlag vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie der Universitätsklinik Münster unlängst auf der Jahrestagung der Sektion Angewandte Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) in Köln (1). Nieschlag kennt wie kaum ein anderer Mediziner die Wirkungen von Testosteron und seinen Abkömmlingen aus jahrzehntelanger Forschung. Anabole androgene Steroide (AAS) sind die weltweit am häufigsten verwendeten Substanzen, um die Leistungsfähigkeit, den Muskelaufbau und die körperliche Erscheinung als sogenannte „appearance and performance enhancing drugs“ (APED) zu befördern. Laut einer Untersuchung vom Zentrum für Präventive Dopingforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln sind 87 % der auf dem Schwarzmarkt oder vom Zoll sichergestellten APEDs anabole Steroide, die Hälfte davon Testosteron-Präparate wie Testosteron-Enanthat, -Propionat oder -Isocaproat. Zu anderen, häufig verwendeten AAS zählen Metandienon, Nandrolon, Trenbolon, Stanozol und Oralturinabol (2).

Auch die Erektion leidet unter Anabolika

Es geht nicht nur um Doping im Spitzensport wie bei der bevorstehenden Olympiade, sondern viel häufiger um missbräuchliche Anwendung unter Freizeitsportlern und Bodybuildern. AAS werden mit einer Lebenszeitprävalenz von 6,4 % von Männern und 1,6 % von Frauen genutzt (3). Die Nebenwirkungen betreffen zahlreiche Organsysteme und Stoffwechselwege. Da die wenigsten Anwender offen über ihren Anabolika-Konsum sprechen, rät Nieschlag, auf charakteristische Symptome zu achten. „Vor allem Akne und Striae fallen häufig auf“, sagt der Endokrinologe im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. „Wir vermuten, dass bei etlichen jungen Männer, die wegen hartnäckiger Akne zum Arzt gehen, die Frage nach Anabolika wegweisend sein könnte.“ Striae zeigen üblicherweise ein unphysiologisches, zu schnelles Wachstum der Muskulatur an, etwa im Schulter-Nacken-Bereich, an der Brustmuskulatur und an Oberschenkeln und Oberarmen. Weitere Hinweise bieten das Blutbild mit erhöhten Hämatokritwerten oder auch ein ungünstiges LDL/HDL-Profil. Besonders die 17-α-alkylierten anabolen Steroide können direkt lebertoxisch wirken und die Transaminasen erhöhen. Das bleibt indes unentdeckt, solange es nicht infolge der erhöhten Blutviskosität zu einer Thrombose kommt oder aber gelbe Skleren und Erbrechen – verbunden mit einem erhöhten Bilirubin – auf die Lebertoxizität hinweisen.

Was junge Männer, die Anabolika einnehmen, allenfalls zum Arzt führt, sind Erektionsstörungen. Denn anders als das mit diesen Substanzen erzielte muskelbepackte Erscheinungsbild suggeriert, ist die Anwendung mit einem negativen Feedback auf die Sexualhormonproduktion gekoppelt. Über die Achse von Hypothalamus, Hypophyse bis zu den Gonaden unterdrücken anabole Steroide die Spermatogenese, führen zu einer Hodenatrophie, schließlich zu Infertilität und eben auch zu Erektionsproblemen und Libidoverlust beim Mann (4). Diese Seite der Anabolika ist den wenigsten bekannt, stehen sie doch seit Beginn ihres Missbrauchs in ganz anderem Ruf. Zu den ersten Athleten, die seit der Entdeckung von Testosteron (1935) Missbrauch betrieben, zählten 1952 die deutschen Ruderer. Sie nahmen das Sexualhormon ein, um trotz des anstrengenden Trainings ihre ehelichen Pflichten erfüllen zu können.

In einer großen Urologie-Ambulanz in den USA wiesen 1,6 % der Männer einen Anabolika-induzierten Hypogonadismus (ASIH) auf, die Hälfte davon hatte sich wegen Infertilität vorgestellt, der Konsum war erst nach nochmaliger Exploration der Patienten offenbar geworden (5). Ein permanenter Schaden ist nach bisherigen Erkenntnissen indes nicht zu befürchten. Das weiß man aus einer Vielzahl von Untersuchungen, in denen Testosteronderivate als „Pille für den Mann“ bei mehr als 1 500 gesunden Männern im therapeutischen Bereich getestet worden sind. „Nach Absetzen der Präparate ist das Spermiogramm nach einem Jahr bei 90 % und nach zwei Jahren bei 100 % der Probanden wieder im Normbereich“, fasst Nieschlag die Ergebnisse zusammen. „Aber man muss eben darauf achten. Daher ist es umso bedauerlicher, dass es kaum Sprechstunden für junge Männer gibt“, so der Reproduktionsexperte. In Münster wurde eigens eine für adoleszente Jungen/Männer eingerichtet, das ist jedoch eine Ausnahme. Seit auch die medizinische Untersuchung im Rahmen der Wehrdienstfähigkeit weggefallen sei, sehe kein Arzt mehr diese Gruppe nach der letzten U-Untersuchung mit 12 Jahren.

Frauen fürchten die tiefe Anabolika-Stimme

Anders ist dies bei den Frauen, die in der Pubertät mitunter wegen der Verschreibung hormoneller Kontrazeptiva, wegen Zyklusstörungen oder -schmerzen öfter den Frauenarzt aufsuchen. Frauen sind ohnehin weit zurückhaltender in Sachen Anabolika-Konsum. Wie bei den Männern droht eine Akne das Aussehen zu verschlechtern, verschlimmert durch Hirsutismus und Alopezie. Was allerdings am meisten gefürchtet ist, ist eine dauerhaft tiefe Stimme – „ein höchst empfindlicher Indikator für Anabolika-Konsum beim weiblichen Geschlecht“, erklärt Nieschlag und: „Das ist in aller Regel irreversibel und in der Szene bekannt, weshalb die Frauen eben viel vorsichtiger sind.“

Andere Nebenwirkungen von Anabolika beim weiblichen Geschlecht sind schwierig zu beurteilen. Denn Frauen, die viel trainieren, müssen an sich schon körperliche Symptome gewärtigen, die man eher nicht mit Sportlichkeit und Fitness assoziiert. Zur sogenannten „female athlet triad“ gehören Zyklusunregelmäßigkeiten, Essstörungen und Osteoporose. Zwar gibt es Hinweise, dass Anabolika auf solche Beschwerden gewisse positive Wirkungen haben könnten. „Daraus aber zu schließen, dass Anabolika diese Störungen verhindern könnten, ist nicht bewiesen und sie deswegen einzunehmen, wäre gefährlich“, erklärt Nieschlag.

Bedrohlich wird es dann, wenn die Langzeiteinnahme das Herz schädigt. Testosteron wirkt in der Zellkultur direkt apoptotisch auf die Kardiomyozyten. So erklärt man sich, dass man bei AAS-Konsumenten auch dann Myokardnarben findet, wenn sie unauffällige Koronararterien aufweisen. Ob eine Hypertonie mittels anabolen Steroiden induziert wird, ist umstritten. Gefürchtet als Ursache eines plötzlichen Herztodes sind EKG-Veränderungen, etwa Rhythmusstörungen oder eine verlängerte Repolarisation sowie hypertrophe Kardiomyopathie und Myokardinfarkte. „Nicht selten nehmen die Anwender vor Wettkämpfen noch Diuretika, damit infolge der Austrocknung die Muskelpakete besonders straff wirken“, weiß Nieschlag. Die damit verbundenen Elektrolytstörungen potenzieren die Gefahr für die Reizleitung am Herzen.

Selbst für das muskoloskeletale System, dessen Aspekt immerhin aufgebaut werden soll, sind die Substanzen nachteilig. Dabei ist interessant, dass noch in einem umfassenden Review von 1991 die medizinische Profession die Effekte einer Placebowirkung zuschrieb, obwohl seit den 1970er Jahren ein regelrechter Anabolika-Boom eingesetzt hatte (6). Inzwischen haben zahlreiche Studien mit supraphysiologischen Studien gezeigt, dass ein anaboler Effekt über eine durch den Androgen-Rezeptor vermittelte Hypertrophie der Muskelfasern (Typ 1 und 2) und durch die Vermehrung von Muskelkernen und Kapillaren pro Faser zustande kommt. Das ist von den Anwendern erwünscht. Wenn aber bereits Kinder oder Jugendliche die Substanzen erhalten, führt die Aktivierung der endochondralen Knochenbildung zu einem verfrühten Schluss der Epiphysen. Das Längenwachstum wird gebremst.

Boom: Testosteron-Gele für ältere Männer

Ähnlich ambivalent ist die Wirkung auf die Niere. Obwohl AAS in der Vor-Erythropoietin-Ära für mehr als 25 Jahre zur Anämietherapie von Nierenkranken eingesetzt wurden, taugt das nicht zur Verteidigung, denn die therapeutischen Dosen waren weitaus geringer. Erhöhte Kreatininwerte sollten genau abgeklärt werden, weil sie harmlose Folge der höheren Muskelmasse sein können, aber auch, vor allem bei langfristigem AAS-Abusus, Folge von Rhabdomyolysen und toxischen Bilirubinkonzentrationen bei Leberschäden sein können.

Angesichts dieses vielfältigen Schadenspotenzials warnt Nieschlag nachdrücklich vor der insbesondere in den USA boomenden Praxis, Senioren immer öfter ohne klare Indikation Testosteron zu verabreichen. Solange man es nur i. m. applizieren konnte, war dies noch ein Hemmnis. Aber seit es Gele gibt, hätten sich sogenannte „Low Testosteron Clinics“ in den USA flächendeckend ausgebreitet, berichtet Nieschlag. Das komme einem Missbrauch gleich und wird inzwischen maßgeblich von der FDA bekämpft (7). Als Begründung für die Versorgung der Senioren mit diesen Substanzen muss der Begriff des „Klimakterium virile“ herhalten, den Nieschlag für absolut unzutreffend hält. Es gebe zwar den „late onset Hypogonadismus“ (Altershypogonadismus), sagt er, und dies sei eine echte Indikation für eine Testosterongabe bei älteren Männern. Darüber hinaus erfahre jedoch der Mann kein Klimakterium, kein Versiegen der Spermienproduktion: „Ich setze mich seit 40 Jahren dafür ein, den Begriff ‚Klimakterium virile‘ abzuschaffen.“

@Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit2916 oder über QR-Code.

Unter hohen Dosen Anabolika – beispielsweise 500 g bis 1 000 g Testosteron Enanthat pro Woche – sind Aggressivität, übertriebenes Selbstvertrauen, Hyperaktivität bis hin zu psychotischem Verhalten beschrieben. In einer Befragung von 500 Bodybuildern und Athleten gaben 60 % an, derartige Mengen einzunehmen. Unklar ist, ob Personen, die mit ihrem Erscheinungsbild so unzufrieden sind oder sich wider besseres Wissen der Wirkung solcher Substanzen aussetzen, nicht schon von vorneherein für psychische Störungen eher prädisponiert sind.

Eine Abhängigkeitsentwicklung ist ebenfalls bekannt, verbunden mit mentalen Veränderungen, Gedächtnisverlust und kognitiven Einbußen. Etwa 30 % entwickeln nach Missbrauch eine Abhängigkeit. Entzugserscheinungen sind Depressivität, Libidoverlust, Schlafstörungen und Suizidaliät.

Quelle: Nieschlag E, Vorona E: Doping with anabolic android steroids (AAS): Adverse effects on non-reproductive organs and functions. Rev Endocr Metab Disord.015;16(3):199–211.

Reinhardtstr. 34 · 10117 Berlin Telefon: +49 (0) 30 246267 - 0 Telefax: +49 (0) 30 246267 - 20 E-Mail: aerzteblatt@aerzteblatt.de

entwickelt von L.N. Schaffrath DigitalMedien GmbH

Sie finden uns auch auf: